WER BIN ICH?
Es gibt zahlreiche Facetten meiner Identität, die ich hier zu erkunden versuche. Jeder Versuch der Aufzählung bleibt notwendigerweise unvollständig, fragmentarisch. Letztlich sind all diese Facetten nur ein Traum, eine Illusion.
Beginnen wir.
Körperlich und geistig zähle ich zur Spezies Homo sapiens, die von Hominiden abstammt und deren Ursprünge sich wahrscheinlich in Afrika finden. Biologisch gesehen, bin ich verwandt mit Tieren und in weiterer Ferne auch mit Pflanzen – ein Kind des Planeten Erde.
Auf molekularer Ebene bin ich mit jedem Partikel des materiellen Universums verbunden. Es wird gemunkelt, ich sei das Universum selbst.
Durch Sozialisation erwarb ich verschiedene historische, geografische, kulturelle und mythologische Identitäten. Geografisch stamme ich aus Dersim, wo ich meine Kindheit verbrachte. Dersim ist sowohl Quelle meines Traumas als auch mein unerschütterlicher Berg „Khaf“, aus dem ich Kraft schöpfe. In Plemuriye fand ich meine urbane Identität wieder, während die Zeit mit meinen Großeltern im Hochland meine primitiv-kommunale Identität prägte.
Meine ersten Gedichte schrieb ich auf Kieselsteinen am Flussufer und in nächtlichen Gesprächen mit den Sternen – meine Identität als Magier.
Dann verschlug es mich nach Istanbul. Ab dem Alter von 13 Jahren erlebte ich dort meine Jugend – der Ort meiner depressiv-melancholischen Identität, der Schauplatz meiner Poesie, meines Anarchismus, meines Vagabundentums und meiner hoffnungslosen Liebe.
20 Jahre verbrachte ich in Deutschland, insbesondere in Köln. Trotz einer „deutschen“ Identität fühle ich mich nicht als Deutscher; Deutschland war jedoch die Bühne meines Reifens und Erwachsenwerdens.
Ein Jahr am Schwarzen Meer, eines in Griechenland, eine Weile in London. Diese Orte hinterließen viele Erinnerungen, prägten jedoch nicht meine Identität. Sie stärkten sie.
Dann entdeckte ich Reiche jenseits der bekannten Grenzen – mein träumerisches Ich, das von Abenteuer zu Abenteuer eilt.
Sprachlich wurde ich in Türkisch sozialisiert, erlebte aber auch die Kırmancki-Identität, meine iranische Seite. Ich lausche Liedern in Kurdi, Farsi, Peshtuni, Dari – sie erfreuen, betrüben und rühren mich zu Tränen.
In den ersten drei Sprachen verfasse ich literarische Werke – Romane, Gedichte und Philosophie. Die Literatur ist eines meiner Gesichter.
Manche sagen, ich hätte eine alevitische Identität. Doch eine religiöse oder gläubige Identität – die ist mir fremd.
Mystik allerdings – die begleitet mich seit meiner Kindheit und meinen Träumen. Yoga, alte Texte, Philosophie sind Wege, meinen Geist zu hinterfragen und zu transzendieren. Vielleicht habe ich ja eine Philosophenidentität?
Als Sohn war ich wohl problematisch, aber natürlich war ich einer. Auch als Ehemann, wenn auch mit Schwierigkeiten.
Eine ernsthafte Sportleridentität war mir vergönnt, wenn auch nur auf Hobbyniveau. Viele Menschen habe ich trainiert – also auch eine Traineridentität.
Träume und Vagabondage sind mir ebenso vertraut. In Gedanken rase ich, körperlich bewege ich mich gemächlich.
Als Vater eines Sohnes und einer Tochter trage ich diese Identität. Dazu die des Bruders, Onkels und Cousins. Noch kein Großvater, aber selbstverständlich ein Enkel.
Freundschaften pflege ich, wenn auch mit Auf und Ab. Doch Loyalität ist mir wichtig – also eine Freundschaftsidentität.
Obwohl nie beruflich, bildete ich mich innerhalb und außerhalb der Universität über Jahre. Also auch eine Identität als Tintenklecks.
Das sind einige meiner Masken – unvollständig, wie immer.
Doch keine davon bin ich wirklich und ausschließlich. Wie kann das sein? All diese Identitätsbilder sind letztlich Fesseln für die wahrhaft Freiheitssuchenden. Übermäßige Identifikation verstellt den Blick auf das Eigentliche. Schon lange weiß man: Äußerer Schein blendet das innere Auge. Deshalb sind alle Namen und Beschreibungen irgendwo leer.
So bleibt mir nur, ein Liebhaber der Sprachen zu sein, die ich verschweige, ein Reisender der Welten, die ich nicht greifen kann. Ich bin der Atem eines unbekannten Berges, meine Träume verkehren mit den Winden durch märchenhafte Täler.
Ich frage nach Passwörtern unbekannten Nutzens. Ich folge einer lächelnden Fee, die mir ins Ohr flüstert.
Wonach suche ich? Das weiß ich selbst nicht genau. Doch ich spüre, dass unter all den Masken und Namen ein Kern in mir schlummert, der mein wahres Sein birgt. Diesen zu entdecken, ist die Reise, auf der ich mich befinde.
Ich jage einer lächelnden Fee nach, die mir Geheimnisse ins Ohr flüstert.
Und du, wer bist du?