Aufruf zu einer Alternative
Das Buch, das vom Kibele-Verlag in Istanbul verlegt worden ist, enthält die Gedanken des Autors über eine alternative Gesellschaft, den ganzheitlichen Menschen und Möglichkeiten des freiheitlichen Lebens. Die Übersetzung einiger Teile des Buches ist unten aufgeführt.
“Wir kennen nicht den Stolz auf die eigene Herkunft.
Unsere Freunde lieben wir.
Unsere Ichs bekämpfen wir.
Und niemanden klagen wir an.
Ich, Melüli, sage, unser Wort ist Eins.
Unser Wesen mit dem Freund ist Eins.
Unser Essen, Trinken,
einander gegenseitig Verwöhnen ist Eins.
Und wir haben keinen Streit über Ich und Du.”
Melüli
INHALT
Vorwort
1. Kapitel
Die Überwindung der großen Falle
Die Suche
Marxismus und Utopie
Beiträge der Quantenphysik zur Philosophie
Die Überwindung der großen Falle
Überwindung der starren Charakterstrukturen, des gesteuerten Geistes und der Abhängigkeiten
Die Strategie
2. Kapitel
Allgemeine Perspektiven
Naturschutz
Gewalt
Ehrlichkeit
Motivation zur Kontrolle
Liebe
Wissenschaft
Geschichte und Mythologie
Gott und Religion
Möchte-gern-gehabe und Minderwertigkeitskomplex
Eurozentrismus
Zeremonie, Versammlung und Ansprache als Foltermethoden
Losungen
Führerschaft
3. Kapitel
Entwurf einer Alternative
Entwurf einer Alternative
Die Weisheit der Kommune
Recht auf Projekte
Recht auf Gruppenbildung und auf Zusammenleben mit Ähnlich-gesinnten
Prinzip der Freiwilligkeit und Recht auf Trennung
Das Recht, sich in die Einsamkeit zurückzuziehen
Eigentum
Recht auf eine Wohnung
Benutzen statt Besitzen
Geld
Annullierung des Geldes in bestimmten Perioden
Wohlstand
Lohn und Gehalt
Kleinhandwerk und Handel
Kommunale Betriebe
Produktion
Modellproduktion – Serienproduktion und das Qualitätsproblem
Steuern
Energie
Berufe
Geordnete Armee und der Bedarf nach Abwehr
Politiker, politische Einrichtungen und Wahlen
Beamten und Bürokraten
Recht
Schuld, Strafe, Gerichte und Strafanstalten
Innere Sicherheit
Bildung und Erziehung
Gesundheit
Die Familie
Das Rauchen, Alkohol, Rausch- und Stimulationsmittel
Fremde und Besucher
In meinen jahrelangen eins-zu-eins Beobachtungen stellte ich fest, dass viele ehrliche und selbstlose Genossen im Kampf gegen das bestehende System gar keine Antworten auf die Frage hätten, was für ein gesellschaftliches und individuelles Leben sie sich tatsächlich wünschen, ja schlimmer noch, sie machten sich auch gar keine Sorgen darum. Infolgedessen entsteht – insbesondere für die Menschen, die sich außerhalb der Umgebung des Kampfes begeben – der Umstand, dass die Rationalitäten des Kapitalismus mehr an Gewicht gewinnen. So musste ich feststellen, dass bei vielen, mit denen ich ähnliche Ideale zu teilen glaubte, unsere „Welten“ in Wirklichkeit doch nicht so ähnlich waren. Ich glaube, der Grund dieser Täuschung war unter anderem die Tatsache, dass Fragen dieser Art kein Thema unserer Gespräche und Diskussionen bildeten, dass sie ja manchmal auch als Luxus empfunden wurden. Durch diese Studie, also durch eine Art „persönliches Manifest“, setze ich mir nun vor allem das Ziel, solche Missverständnisse auf ein Minimum zu reduzieren, klar zu deklarieren, was ich will, und wie ich es will, und imstande zu sein, dort, wo es notwendig wird, eine Distanz zu setzen. Da ich das „Bewusstseinsproblem“ letztendlich als das Hauptproblem wahrnehme, ist eine solche Klarstellung aus meiner Sicht unbedingt notwendig. Eine weitere Zielsetzung ist jedoch, wie auch im Text betont wird, eine relativ konkrete Basis für Diskussionen zu schaffen, und durch diese Suche allmählich Gleichgesinnte zu treffen, für ein solches Zusammentreffen eine Grundlage in der Form aufzubauen, die uns vor Täuschungen bewahrt. Als eine notwendige Voraussetzung für diese Zielsetzung herrscht in der Studie eine Offenheit und Ehrlichkeit, die teilweise vielleicht an Naivität grenzt. Deren Zweck ist nicht etwa, unter Beweis zu stellen, wie ehrlich das Besagte gemeint ist; vielmehr ist es eine notwendige Maßnahme: Nämlich um solchen Verhaltensweisen den Bewegungsraum einzuengen, die anstatt sich an das Wesen der Sache zu wenden, sich mit Äußerlichkeiten abgeben; die weder eine Besserung wünschen, noch bereit sind, sich selbst zu ändern, sondern lediglich auf Zeitvertreib aus sind, die an Unsicherheit, Unehrlichkeit und unkritischer Folgsamkeit leiden. Ich habe keineswegs vor, im sterilen Streitfeld von Themen, die sich nicht in wahrem Sinne eine neue und freiheitliche Tagesordnung des Lebens zu Eigen machen, dieser Studie ihre Lebenskraft zu rauben. (aus dem Vorwort, Seite XII)
…
Dort, wo der Faktor Mensch im Spiel ist, wird nichts automatisch funktionieren. Da wir nun unser menschliches Dasein nicht kündigen können, werden – und müssen – bestimmte Risiken eingegangen werden. Wichtig ist hier die eingeschlagene Orientierung. Mindestvoraussetzung für das Zusammenschreiten von Menschen ist die Gleichheit der Orientierungen. Das heißt, auch wenn sie mit vielen Hürden und Niederlagen unterbrochen werden, sind bestimmte Bemühungen in bestimmter Richtung unerlässlich. Denn ohne Mühe gibt es auch keine Hoffnung.
Die entworfene, erwünschte Daseinsform richtet sich nicht auf ein bestimmtes Land oder auf die Einwohner eines solchen Landes. Als Ausgangspunkt fand ich es besser, auf anonymer Basis anzufangen. Irgendwo, lokal oder global. Doch die Fortsetzung der Studie wird über ein konkretes Gebiet und über konkrete, mir bekannte Menschen laufen. Durchschnittsmenschen, insbesondere Gebildete, gehen infolge ihrer gegenwärtigen Verfassung solchen Abstraktionen lieber aus dem Weg; sie neigen dazu, immer mit dem Vorhandenen verbunden zu bleiben und auch dieses nur über gegebene Rationalitäten, zumindest über eine Methodologie mit lizenzierter Autorität zur Diskussion zu stellen. Von diesem Standpunkt aus kann der vorliegende Text trotz seiner Schlichtheit als schwer lesbar und schwer verdaulich erscheinen. Mit Recht, denn das geistige „Gedärm“ der Menschheit ist in seinem überlieferten Zustand „kannibalisiert“. Und in diesem unreinen Zustand ist es nicht imstande, schlichte Tatsachen zu verdauen. Es ist kein leichtes Unternehmen, den Geist, der die Vernunft – auch ein wenig infolge der herrschenden Bedingungen – zu nichts anderem benutzt, als zu intrigieren, auf Schlichtheit und Direktheit umzuorientieren. Außerdem ist dieser Text eine Herausforderung des den abhängigen und gesteuerten Geistes, der auf gewohnte Art und Weise durch Assoziationen und logische Schlüsse arbeitet. Mir ist bewusst, dass ein solches Unterfangen für mich ein Risiko darstellt. Doch ich sehe mich gezwungen, dieses Risiko auf mich zu nehmen und auf meinem Stil zu beharren. Sonst hätte ich meinen eigenen Zielen widersprochen, und dann hätte ich im Grunde genommen nichts erreicht. Eigentlich ist dieses Vorwort sowie bestimmte Teile des Textes als Überbrückung zwischen dem Gewohntem und Transzendenten entworfen. Das heißt, um den Geist durch ihm gewohnte Diskussionen zu erreichen und ihn dann in darüber hinausgehende Bereiche hinüberzuziehen. (aus dem Vorwort, Seite XIII)
…
Niemand wird erwarten, dass eine Person allein ein in jeder Hinsicht zufriedenstellendes, allumfassendes, vollendetes Projekt ausarbeitet. Eigentlich wäre so etwas auch weder notwendig noch wünschenswert. Außerdem sollte man sich bei Definitionen und Aussagen dessen bewusst sein, dass sich die Ideale mit der Welt der Begriffe, diese beiden wiederum mit der dynamischen lebendigen Welt sich nicht eins zu eins decken. Das heißt, man sollte sich nicht auf nicht-lebende und doktrinäre Ansätze, sondern vielmehr auf grundsätzliche Prinzipien und Wünsche und ihre Realisierungsmöglichkeiten konzentrieren. Die Welt befindet sich in einem Werdensprozess – und der Mensch befindet sich in einem Werdensprozess. Auch wenn wir von einer Ganzheitlichkeit reden, reden wir von einer Ganzheitlichkeit im Werdensprozess – einer tiefgreifenden Ganzheitlichkeit, die sich in ständiger Bewegung befindet, nicht aber von einem erstarrten Bild. Diese Unbeschränktheit der Ganzheitlichkeit ist von vitaler Bedeutung. Fixieren ist gleichbedeutend mit Töten und mit Preisgeben zur Verwesung. Mit großer Sorgfalt zu vermeiden sind unnötige Praktiken, die der menschlichen Natur zuwider sind und Unbehagen und Druck hervorrufen. Das Ziel ist nicht etwas Mechanisches, dessen Ecken und Kanten vollständig vorgezeichnet sind. Die Hauptsache ist, die unterdrückten, kastrierten Potentiale des Menschen durch Maßnahmen, in denen wiederum der Mensch die aktive Rolle spielt, offenzulegen. Das heißt, eine ideale, gesunde Gesellschaft kann nicht wie die Entwürfe und Berechnungen eines Ingenieurs in vollendeter Form entworfen werden.
Meine Erwartung an den Leser dieser Studie ist die, dass diese Hauptziele nicht aus dem Blickfeld verschwinden, und dass sie nicht nach solchen Kriterien wahrgenommen werden, ob sie mit bestimmten Modellformen oder mit Werken bestimmter Autoren im Einklang stehen; nicht einmal, wie weit sie praktisch realisierbar sind; sondern vielmehr nach ihrer eigentlichen Hauptbotschaft.
Insbesondere möchte ich betonen, dass die Studie nicht in einem akademischen Stil bearbeitet worden ist. Der Grund ist, dass die allgemein anerkannte akademische Methode mit der Hauptthese dieser Studie im Widerspruch steht. Und zwar:
Energie folgt der Konzentration, und besonders in der Anfangsphase (insbesondere auch deswegen, weil ich allein arbeite) bringt das eine Reihe schwer zu bewältigende Probleme betreffs Durchscannen von Literatur und Analyse des Vorhandenen mit sich. Das Akademische betrifft hauptsächlich die Analyse dessen, was im Einklang mit den Zielsetzungen der Herrschenden schon existiert und die Ergänzung seiner Mängel und Lücken; es betrifft nicht die Schöpfung dessen, was sein soll, was neu ist. Meiner Erfassung nach ist die akademische Methode gut geeignet, das Existierende zu studieren, es kennenzulernen und auf jener Grundlage Verschiedenes zu entwickeln, Lösungen zu erstellen. Geht aber das Ziel darüber hinaus, so ist Wachsamkeit geboten – nämlich gegen Fallen der akademischen Methode in ihrem gegebenen und weit verbreiteten Stand. Der komplexe Prozess der Schöpfung des Neuen ist ein inniger Ansatz, der auf der einen Seite mit Erlangung von Erkenntnis zu tun hat, er ist ein Prozess, der der künstlerischen Schöpfung ähnelt, und den Pablo Picasso mit den Worten „Ich suche nicht, ich finde“ beschreibt. Das ist nämlich, was ich hauptsächlich meine, wenn ich davon rede, die universellen positiven Werte zu finden, die aus der Seele des Menschen aufsteigen, und mit einem Ansatz zu agieren, in dessen Zentrum sich diese Werte befinden. (aus dem Vorwort, Seite XXI)
…
Doch auch der Weg der individuellen Suche ist, genauso wie die anderen, voller Fallen. Menschen, die sich mit Zielen wie der individuellen Entfaltung oder der Befreiung auf den Weg machen, treffen nach einer Weile andere Menschen mit ähnlichen Zielen und bilden allmählich Gruppen. Das ist natürlich und verständlich. Hier treffen die Menschen Führerpersönlichkeiten unter Bezeichnungen wie Lehrer, Meister, Wegweiser, Vermittler, heiliger Stellvertreter und ähnliches. Und hier beginnt eine ernsthafte Gefahr. Es ist notwendig, den Weg des kritischen Denkens nicht nur in Worten, sondern in Taten beizubehalten. Man sollte sich nicht von unhaltbaren, unbewiesenen, abstrakten Versprechungen, prunkvollen Titeln überrumpeln lassen. Diese Gurus sind in der Regel schlaue Typen, die Gefühlsdefizite und Glaubensbedürfnisse der Menschen in Geld und Macht umsetzen. Durch ihre Beziehungen zum Geld und zur Macht sind sie leicht zu entlarven. Ihre Worte werden von ihren Schülern getippt und in dicke Bücher verwandelt, die voller Wiederholungen und Dummheiten sind. Menschen werden durch solches gedrucktes und audiovisuelles Material bombardiert. Ihr Ziel ist, durch diese Angriffe der Quantität ihre Schüler daran zu hindern, dass sie sich auch andere Quellen ansehen können oder auch einfach die Chance bekommen, sich eine Atempause zu gönnen und zu begreifen, was in Wirklichkeit passiert. Wenn man sie darauf aufmerksam macht, werden sie aggressiv. Doch anders als solche Personen kann man Wegweiser, die nicht auf Dominanz und persönliche Macht aus sind, vorurteilsfrei bewerten. Es ist auch gut möglich, dass man durch sie manche Quellen der uralten Wege und Methoden, Erkenntnisse und Inspirationen entdeckt. (Seite 6)
…
Schauen wir uns nun einmal an, was die Worte der Verkünder des Fortschritts und der „Geschichtlichkeit“ angesichts der Geschichte der Völker der Welt wirklich bedeutet: Nach ihrer Behauptung verlaufe der Weg des Sozialismus und des Kommunismus durch einen destruktiven Modernismus, der eine schändliche Verfremdung in sich trägt. Nach jener Reiseroute seien dies notwendige Stationen. Das heißt, was Not tue, sei, diese ungebildeten Völker zu „zivilisierten“ Menschen zu machen: Diese Wilden legen nämlich naive Verhaltensweisen wie Nachbarschaft, Freundschaft, Solidarität an den Tag; sie arbeiten gemeinsam und abwechselnd und teilen auch den Nutzen gemeinschaftlich. Sie geben sich mit primitiven Lösungen ab, wie die Bedürfnisse nach Nahrung und Wohnung aus eigenen Mitteln zu decken, von der Natur zu lernen, natürliche Behandlungsmethoden zu praktizieren. Im Namen des Fortschritts müsse man sie zur Einsamkeit zu verdammen, so dass sie in den Großstadtwohnungen einander und in den Fabriken sich selbst nicht mehr erkennen. Man müsse sie zu Hampelmännern machen, die, um ein Gefängnis um sich herum ihr Eigentum nennen zu dürfen, bereit sind, lebenslange Verpflichtungen einzugehen und ihre Kleingärten durch Zäune und Mauern voneinander zu isolieren, statt in öffentlichen Parks und Wäldern gemeinsam glücklich zu sein. Ihre Wagen sollen sie als die Fortsetzung des eigenen Körpers betrachten; vor lauter Angst, missverstanden zu werden, sollen sie darauf verzichten, dem Nachbarskind den Kopf zu streicheln; sie dürfen nicht einmal wagen, einander zu begrüßen – und statt „Wie geht es dir?“ sollen sie „Wie geht es der Arbeit?“ sagen; sie sollen sich nicht um den kranken Nachbarn kümmern, aber für den Kranken in der Fernsehserie Tränen vergießen. Und als fortschrittliche, zivilisierte Menschen sollen sie Vorbilder dieser Art und solches Leben als ihr notwendiges Schicksal ansehen. Und wenn ihnen nun durch Psychologen in Gutachten bescheinigt wird, dass sie in dieser Sache gereift sind, dann und nur dann… „nun, wahrscheinlich sind sie hinreichend fortgeschritten und reif. Jetzt können wir über Sozialismus reden…“ Ich glaube, genau das ist es, welches diese Bänder von Büchern und Ansprachen zusammengefasst sagen. (Seite 13)
…
Von den Quanten der Daten über die Grundlagen der Existenz ausgehend könnte die Wirklichkeit mit einem interaktiven Computerprogramm verglichen werden. Das ist so ein Programm, welches deinen (deines Subjekts) Charakter, deine Wünsche, Eigenschaften, Absichten kennt, und dementsprechende Antworten gibt. Das ist ein interessantes und bizarres Spielfeld – es erlaubt dir, zwischen deiner Suche und dem, was du gefunden hast, eine Übergangsmöglichkeit und eine relative Wirklichkeit herzustellen. Es hebt den Unterschied zwischen dem Subjekt und Objekt auf. Es geht sogar weiter, ausgehend von Experimenten sagt es, dass „die Wirklichkeit“ (das Teilchen) im klassischen Sinne solange nicht existiert, bis sie von einem Beobachter festgestellt worden sind“, dass also „die Realität eine erschaffene Realität ist“. Lasst uns noch einen Schritt weitergehen: Schafft der Mensch die Werte, die Bedeutungen, die Begriffe und die Antworten samt der Form seiner Fragen und des Inhalts seiner Wünsche nicht selbst? Finden wir – in bestimmten Sinne – nicht genau das, wonach wir suchen? Wir schauen uns unsere Träume an. Wenn wir nach einem Sinn suchen, finden wir ihn. Wenn wir nach Sinnlosigkeit suchen, finden wir auch sie. Suchen wir nach dem Engel in dem Menschen, finden wir ihn, suchen wir nach dem Teufel, finden wir ihn auch. In unserem Geist können wir sowohl das Paradies als auch die Hölle schaffen. Energie folgt der Fokussierung. Wir stärken genau das, worauf wir uns fokussieren. All diese Gegebenheiten werte ich als ein Aufruf zur Freiheit, als eine Aufforderung zur Selbstverwirklichung. Ja – während die Natur ihre Antworten auf der Ebene der Quanten mitteilt, erlaubt sie zugleich, die Fragen und dementsprechend die Qualitäten der Antworten des Fragenden zu gestalten. (Seite 16)
…
Natürlich wird die Form des Verständnisses der Gegebenheiten der Quantentheorie sich dem Bewusstsein und den Sehnsüchten des Individuums anpassen. Manche werden diese Erkenntnis in den Bereich der Theologie oder des Geschäftslebens transponieren (s. Quanten-Berührung, Quanten-Stein u. a.), doch für mich bedeutet diese Erkenntnis ein helleres Aufleuchten des Sterns der Utopie, eines Horizonts, der eine Quelle der Bewegung (Louis Marin) ist. Folgende Worte, an deren Urheber ich mich nicht mehr erinnere, drücken meine Gedanken sehr gut aus: „Utopien sind wie Sterne im Himmel: Auch wenn wir sie nicht erreichen, so können wir doch durch sie unsere Orientierung bestimmen.“ Hat man erst einmal die richtige Orientierung gefunden, so ist es kein großes Problem mehr, wenn das Ziel nicht ganz deutlich ist und nicht vollständig definiert werden kann. Sie ist der potenzielle, bewegte Horizont der Möglichkeiten der Freiheit, und sie wird auch zu dem Weg selbst, der zu ihr führt. Der bewegte Horizont, der Weg und das Ziel werden eins. Interessanter Zufall: Utopia bedeutet im Griechischen „nirgendwo“. Der Begriff aus der Quantentheorie, „non locality”, der den Anfang des Seins (der Zeit) bezeichnet, hat eine ähnliche Bedeutung. So auch „La Mekân“ des Sufitums, „Wu Ji“, die Nichts-Quelle des Taoismus und „Awjakta“ in Sanskrit, nämlich die Energie, die nicht in Erscheinung getreten ist. (Seite 17)
…
Das nicht gesteuerte, autonome Bewusstsein ist offen für die Tugend. Gleichgültig ob der Mensch blond oder brünett ist, ob er ein Schwarzer aus Afrika oder ein Asiat oder ein Amerikaner ist, aus welcher Rasse auch immer, bekommen im Alter seine Haare und sein Bart überall die gleiche Farbe, nämlich weiß. So ähnlich ist auch die Weisheit, die das nichtgesteuerte Individuum gelangt, gleicher Farbe. Die Liebe ist überall gleich. Für solche Menschen ist es eine natürliche Neigung, sich an universelle, dauerhafte und konstruktive Werte zu wenden und im Leben diese als Grundlage zu nehmen.
Man muss sich damit abfinden, dass die Wirklichkeit eine reiche Vielfalt, Vieldeutigkeit und sogar manchmal Absurdes und Paradoxien enthält. Durch die Wirklichkeit des Quantums wird die klassische Mechanik nicht ungültig; so müssen auch Zustände und Methoden wie der Anfangsgeist und transzendente Fokussierung die klassische Logik und Analyse in notwendigem Maße mit enthalten. Hier kommt es – wie immer – darauf an, das goldene Maß, die gesunde Synthese zu finden. Jeder neue und oppositionelle Auftritt kann, besorgt, seine Mündigkeit unter Beweis zu stellen, aber auch um im Herrschaftsfeld des Gegebenen sich Freiraum zu verschaffen, ein bestimmtes Maß an Übertreibung und Radikalität an den Tag legen. Im Laufe der Zeit wird das Wasser ruhig und die Gleichgewichte werden stabil. Auch das ist normal.
Hören wir mal zu, wie Arundale dasselbe in einem anderen Zusammenhang betont: „Es ist wunderbar schön und nützlich, sich inmitten von Erkenntnissen zu befinden, doch das gilt auch für den Aufenthalt inmitten des Mysteriums, denn innerhalb des Mysteriums lernen Götter, sich als Gott zu erkennen.“ Ja, auf dieser Bühne, die durch die Spiele des Quantums noch vielfarbiger geworden ist, verhält sich das Universum wie eine verführerische, geheimnisvolle, fremde Geliebte, die den Vorhang des Geheimnisses nicht allzu schnell aufziehen will. Unter Vorbehalt des möglichen Irrtums, scheinen alle Zeichen darauf hinzuweisen, dass, wenn das Universum eines Tages diese große Leidenschaft der Menschheit erwidern und den Vorhang des Mysteriums um einen Spalt öffnen wird, dies wohl im Ergebnis eines solchen Prozesses sein wird, welches außer durch äußere auch durch innere Bemühungen gespeist werden wird. (Seite 20)
…
Was ist das Ziel? Auf welchen Werten soll eine gesunde, harmonische Gesellschaft, die ihren Individuen das Gefühl des Glücks und der Freiheit vermittelt, aufgebaut werden? Zwar ist die Antwort auf diese Fragen wichtig, doch viel wichtiger ist die wesentliche Formulierung dieses fundamentalen Ziels, dieses fundamentalen Willens. Denn Täuschungen und Verirrungen jeder Art können nach der Orientierung dieses gemeinsamen und vernünftigen Zieles, auch z. B. fern von der Willkür irgendeiner Autorität, geprüft werden. Man kann sagen, wenn große Debatten zu führen sind, sollen sie über jenen „Satz“ geführt werden, wodurch dieses Ziel und dieser Willen ausgedrückt werden wird. Ja, genau, ein Satz. Die Einfachheit soll ein weiteres Prinzip sein. Ein fundamentales Ziel soll klar und einfach formuliert werden. Alle Praktiken gesellschaftlicher Projekte werden auf dieser Achse basieren und in dem Maße unterstützt werden, wie sie mit ihr konform sind. (Seite 29)
…
—Die fundamentalen Bedürfnisse des materiellen Lebens sind für die Mehrheit nicht gesichert.
—Auch die Befriedigung und Bewahrung fundamentaler Bedürfnisse sind für diese Mehrheit entweder überhaupt nicht möglich, oder müssen für den Preis von Beziehungen, die eine weitere Festigung der Ketten der Sklaverei zufolge haben, für übermäßigen Zeit- und Energieaufwand erkauft werden.
—Eine überwältigende Mehrheit, die im Kampf für die Erringung der Lebenssicherheit versklavt wird, ihr Gleichgewicht preisgibt, deren gesellschaftliches Leben durch den Einfluss der Eigenschaften von Ignoranz und Begierde zur Hölle wird und werden lässt: die Volksmassen.
—Diejenigen, die diese Masse führen, sie ausbeuten – und an der erlebten Beschmutzung in einer anderen Dimension auch ihren Anteil bekommen: die Führenden und die Inhaber des Kapitals.
—Diejenigen mit einem konfusen Geist, die völlig aus dem Gleichgewicht geraten sind, die versklavt sind durch ihr aufgeschwollenes Ego, die selbst beim Opponieren meist einer Festigung der Sklavenordnung beitragen: die privilegierten sowie nicht privilegierten Gebildeten. (Seite 32)
….
Wahrer künstlerisch schöpferischer Prozess birgt Brisen von einem Zustand der Berührung und der Vereinigung. Anders ausgedrückt: In dem Maße, wie er einen Zustand der Transzendenz widerspiegelt, hat er Prächtiges und Künstlerisches inne. Ansonsten bleibt er als Nachahmung und Wiederholung im Gefängnis des Existenten.
Wenn es auch wie ein Widerspruch zum Vorhergesagten erscheinen mag, gibt es eigentlich keine wirklich schöpferische Tätigkeit. Der Mensch ist das kleine Universum, und alles, was seinen Ursprung in ihm hat, ist eine universelle Widerspiegelung. Es ist ein Erinnern, ein Erlangen. Künstlerische Tätigkeit ist also hauptsächlich eine Tat der vollendeten Wiederkehr in das eigene Wesen, des Selbsterkennens. Die transzendente Fokussierung und die künstlerische Aktivität sind wie zwei Türen, die sich ineinander öffnen. Von der einen gelangt man in die andere und zurück. Die Schwelle dieser Türe bildet der Anfängergeist. Eigentlich ist das zugleich ein mysteriöser, spezifischer Weg, Erkenntnis zu erlangen und sie auszudrücken. (Seite 40)
…
Dieser Entwurf wird als hauptsächliches Thema die Definition einer Kommune enthalten. Da gibt es kein Problem. Denn was eine Kommune ist und was sie nicht ist, ist mehr oder weniger bekannt. Es gibt historische und aktuelle Beispiele. Vielmehr geht es um die Frage, das anonyme Leben so zu gestalten, dass es den grundsätzlichen Zielen nicht widerspricht. Denn es ist weder möglich noch notwendig, alle zum Kommunenleben zu zwingen. Andererseits sollte es nicht einen einheitlichen Typ der Kommune geben, sondern vielmehr zum Ziel gesetzt werden, dass die Kommunen eine Vielfalt aller Arten enthalten, soweit es den Normen, eine Kommune zu sein, nicht zuwiderläuft. Wir können uns die Kommunen als Inseln vorstellen, die auf dem Feld des anonymen Lebens zerstreut sind. Das Meer, das sie umgibt, sollte amphibische Übergangseigenschaften zwischen anonymen Solidaritätsformen und dem kommunalen Strukturen vorweisen und sie unterstützen. Die Sicherheit und Geborgenheit der kommunalen Inseln ist fest verankert an den Zustand des Wassers in dem Meer, und nur dann, wenn dieses Verhältnis gesund gestaltet ist, wird die Kommune und die Freiheit möglich sein. (Seite 42)
…
Die Unendlichkeit der Sterne, die Weite der Wälder, die Weisheit der Bäume, die zarte Schönheit der Blumen, das begeisterte Aufschäumen der Flüsse, das Mysterium der Täler, die Geduld der Berge, die Magie der Meere, das Aroma der Erde, das singen der Vögel, die Symphonie der Wolken und alle Aspekte der Natur sind unerlässliche Vollender des Lebens, Quellen des Seelenfriedens und der Heilung, und selbst in ihren wütenden Momenten sind sie unsere lieben, weisen Lehrer. Respektlosigkeit gegen sie kränkt die Natur und schmerzt uns. (Seite 50)
…
Es ist notwendig, hier noch einmal zu betonen: Wenn ein neues, hoffnungsvolles Leben auf diesem Planeten sich emporheben soll, so wird es zunächst von seinem inneren Zentrum ausgehen, um dann durch die Bemühungen all derer weitergetragen zu werden, die bereit sind, sowohl mit dem Aufbau als auch mit der Revolution erst mal bei sich selbst anzufangen.
Doch all diese Warnungen sollten kein Hindernis sein, dass man weiß, was man will, und dass man es zusammen mit anderen, die ähnliches wollen, zu realisieren versucht. Denn unsere Bemühungen sind dazu da, dass wir die Türen der Weisheit und der gegenseitigen Liebe, welche im Dienste des wahren Zwecks des Seins stehen, wenn auch nur um einen Spalt zu öffnen. Denn ohne Mühe gibt es auch keine Hoffnung. (Seite 54)
…
Der Zustand der Liebe ist ein Licht aus der Welt der Freiheit, das irgendwie in die Gefängniszelle des verkümmerten, durch aufgezwungene Begriffe, Regeln, Formen, Gesetze und Traditionen in die Mangel genommenen Menschen einsickert. Dieses Licht erscheint demjenigen, der als Normalzustand eigentlich nur die Bedingungen der Sklaverei kennt, als ein Mensch, sodass es ihm erträglich ist. Das ist zugleich ein Aufleuchten des edlen Wesens, das jedem Menschen eigen ist. Dieser Zustand ist eine Tür, die von der Pubertät an von Zeit zu Zeit sich um einen Spalt öffnet. Technisch gesehen ähnelt dieser Zustand jedoch eigentlich nur bis zum Eingangsbereich der Tür der Fokussierungsphase der Liebe. In beiden Fällen konzentriert man sich nicht auf den Ist-, sondern auf den Sollzustand, auf das Ideale. In der Liebe gibt es keine Kontrolle und keine wirkliche Erkenntnis, sondern nur die Hoffnung darauf. Das Fokussierungsobjekt, das auch einen Aspekt des Irrtums enthält, kann zum Fetischisieren des anderen Geschlechts führen, sodass man draußen vor der Tür bleibt. In der Regel passiert das auch. Nach einer Weile nimmt die Wirkung der Täuschung ab. Selbst bei relativ gesunden Zweisamkeiten bekommen die Beziehungen dann letztendlich einen unverständlichen Charakter einer niedrigen Abhängigkeit, die mehr egoistisch als transzendent ist. Wäre man durch die Tür weiter gegangen und dem Licht gefolgt, würde dieser Zustand seine Qualität ändern: Dann kann nämlich die wahre Liebesebene des Geistes jenseits einer egoistischen Abhängigkeit in Erfahrung gebracht werden. (Seite 55)
…
In einem üblen Spiel schreiben die Verteidiger der autoritären Gesellschaft und der autoritären Tradition auch dir eine Rolle zu. Falls sie überhaupt die Güte haben, eine Erklärung abzugeben, begründen sie es durch göttliche Gebote, wirtschaftliche Notwendigkeiten, wissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten, natürliche Ereignisse usw. Dann erwarten sie von dir, dass du deine Rolle mit Hingabe spielst. Um deinem Stolz zu schmeicheln, erlauben sie dir manchmal sogar eine gewisse Verantwortung und Initiative. Sie erwarten von dir, das Spiel weiter zu entwickeln, dich nützlich zu machen, sogar im Drehbuch Änderungen an den Dialogen vorzunehmen, solange das Wesentliche unverändert bleibt. Denn die eigentlichen Herren dieses Spieles wissen allzu gut, dass du ein Spiel, an dem du mitgearbeitet und eigene Beiträge geleistet hast, dir tiefer verinnerlichen und intensiver aneignen wirst. Zugleich treffen sie aber auch Maßnahmen gegen eventuelle Spielverderber; sie sprechen Drohungen aus, um die Sicherheit der Bühne zu gewährleisten… nun, dieses Buch will dich nur noch einmal daran erinnern, dass du diese Rolle ablehnen kannst; dass du dieses Spiel abbrechen, dein eigenes Spiel entwerfen und zusammen mit deinesgleichen eine neues, frohes Dasein planen kannst. Hier z. B. mein Entwurf:
…
…
Die wörtliche Überlieferung der Tradition der Kizilbasch (des Alewitentums), führt einerseits durch eine besondere Interpretation der Miratsch-Legende, der Himmelfahrt Mohammeds, andererseits, auf ebenjener Legende basierend, durch eine weitere Sage „der Gemeinschaft der Vierzig Auserwählten“ ihren Ursprung direkt auf eine Kommune zurück. Die Aufnahme von Mohammed in diese Gemeinschaft wird erst dadurch möglich, indem er bereit ist, „seine Eigenschaft als Prophet nur für seine eigene Gemeinde aufzuheben“. Denn die Auserwählten („Güruh-i Nadschi“) selbst haben keinen Propheten nötig. Sie haben auch keine Angst vor dem jüngsten Gericht (Melüli). Die Gemeinschaft der Vierzig besteht aus 24 Frauen und 16 Männern. Es gibt keine Unterscheidung nach Geschlechtern (Quelle: Erdem Baba). Es herrscht Gleichheit: Mohammed wird aufgefordert, die eine Weinbeere, die Salman-i Farsi gebracht hat, in vierzig gleiche Teile zu teilen. Am Ende der Dschem-Versammlung werden die vierzig Dschan (vierzig Leben) in dem Samah-Ritual zu einem Körper vereint. Diese Sage hat durch die benutzten Symbole (wie der Löwe, der Ring, der Engel, die Himmelsebenen, der Vorhang, der Jugendliche, das Haus, die Kuppel, das Fenster, der Bluttropfen, die Weinbeere) eine beispiellos mächtige esoterische Erzähl- und Deutungskraft. Meiner Meinung nach symbolisiert der Vorhang Ahamkara – also das Ego. Und wenn in der 6. Himmelsebene dieser Vorhang aufgeht, sieht Mohammed den Jugendlichen (den Menschen), nach manchen Kommentatoren jedoch sich selbst. Das ist das große Mysterium, das die Kizilbasch in der „Miratsch-Legende“ neben der „Gemeinschaft der Vierzig“ verborgen halten.
Hier wollen wir nebenbei noch mal betonen: Die Personen Mohammed und Ali in dieser Legende stehen hier für die Überlieferung einer bestimmten Tradition und für das Einverständnis mit ihr. Wie die historischen Ali und Mohammed in der Realität gewesen sind, ist ein anderes Thema. Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Legende eine dem Islam zugeschneiderte Version einer viel älteren Tradition ist.
Andere jedoch sind der Meinung, dass eine solche Organisation damals ohnehin existierte und die erwähnten Personen, unabhängig ihrer der Öffentlichkeit bekannten Identitäten, dieser geheimen Körperschaft angehörten.
Die Eroberung der Festung von „Nafs“ – des Egos – ist schwierig. Der Mensch erkennt sich selbst erst in anderen Menschen. Dieser Prozess bedarf also einer Begleitung, so dass die Menschen zum Spiegel für einander werden. Erst wenn die Ich-Festungen eingerissen sind, wird die wahre Solidarität und Teilnahme möglich. Wenn wir von der Eroberung der Festung des Egos sprechen, könnte man vielleicht meinen, dass damit Klosterleben sowie Unterdrückung der Gefühle und Wünsche gemeint sind. Ich halte das nicht für eine gesunde Methode. Es handelt sich vielmehr um die Selbstrealisierung des Individuums durch Selbsterkenntnis innerhalb enger Beziehungen und Beteiligungen und um eine zwanglose Erlangung eines Zustands der Reife und des Gleichgewichts. Durch Verbote und Bedrohungen mit Sünden jedoch erzielt man nur eine Verengung des Geistes. (Seite 80)
…
Ich bin der Meinung, dass die Kommune gerade so weit erfolgreich ist, wie weit sie fähig ist, dem Individuum Genossen zu vermitteln, die ihm in seiner Selbstverwirklichung in menschlichen Dimensionen begleiten. Hat die Kommune Erfolg, so können die Menschen, die in ihren Ich-Festungen Zuflucht gesucht haben, ihre Mauern Schritt für Schritt einreißen und an einem konstruktiven Leben teilhaben; durch die Begeisterung eines frohen Daseins können sie das Ich aufgeben und zum Selbst werden. Ja, das ist der wahre Erfolg. Denn das, was in wirtschaftlicher Hinsicht zu tun ist, ist im Großen und Ganzen bekannt und auch zu weiteren Versuchen offen. (Seite 80)
Praktiken wie gerechte Verteilung, interne Solidarität reichen alleine für die Bejahung einer Gesellschaft noch nicht aus. In der Geschichte hat es Gesellschaften gegeben, die für sich genommen im bestimmten Maße kommunale Züge trugen, doch anderen gegenüber aggressiv und räuberisch waren. Wenn man für solcherlei Lebensweise, die übrigens in den Geschichten sehr vieler Völker vorkommen kann, Beispiele nennen wollte, so kann man das bei den Mongolen zu Tschingis Chans Zeiten, bei den Normannen, bei räuberisch-militärischen Völkern wie den Oguz-Stämmen der Dede Korkut Erzählungen, bei manchen religiösen Orden und Organisationen, bei manchen räuberischen Gruppierungen (vielleicht könnte man hier solche, die von den Ausbeuter-Klassen wegnehmen und zu Gemeineigentum überführen, ausnehmen), bei Mafia- und Bandenstrukturen zum Teil eine solche interne Solidarität und „gerechte“ Aufteilung des Geplünderten beobachten. Da aber solche Strukturen nicht produktiv sind, ihre Nachbarn als Plünderungsquelle betrachten, Gewalt anwenden, „Führer-Kult“ treiben und totalitäre bis faschistische Praktiken haben, kann man sie höchstens als „verkehrte Kommunen“ bezeichnen. Nach den Sagen von Dede Korkut musste ein junger Mann erst Köpfe abschlagen und sich an Plünderungen beteiligen, um überhaupt als „Mann“ zu gelten. Selbst einen Namen bekommt er erst, nachdem er einen solchen Beweis erbracht hat. Er wird von der eigenen Familie verspottet, wenn er „bisher nur einen Kopf abgeschlagen“ hat. Diese Art des Beweises der „Männlichkeit“ lebt in der Form, dass einer „nicht zu den Männern gezählt werden kann, bevor er seinen Militärdienst absolviert hat“, immer noch in der türkischen Gesellschaft. Auch in der französischen Fremdenlegion wird jedem Legionär der Glaube eingeflößt, dass er für seine Kameraden kämpfe, dass sie eine große Familie seien. Die Angehörigen dieser Horde von Mördern vergessen gerne, dass sie sich in dem niederträchtigsten menschenmöglichen Stand befinden, und glauben, sie würden für ihre Kameraden, an die sie „treu verbunden sind“, kämpfen. Räubergesellschaften entwickeln auch zur Rationalisierung ihrer Lage eine besondere kulturelle Struktur und entsprechende ideologische Argumente. (Djihad gegen Ungläubige zu führen, Vertreter einer Ideologie zu sein, Vertreter der Vernunft zu sein, über allen anderen zu stehen und auserwählt zu sein, Träger der Zivilisation zu sein usw.) Der Grund, warum ich das alles erwähne, ist natürlich, um die Spreu vom Weizen zu trennen und die notwendige Distanz zu bewahren. Denn ich war viele Male Zeuge, wie manche die Sehnsucht und das Bedürfnis zur Solidarität und menschlicher Nähe hatten; doch da sie nicht die nötigen Tugenden aufgebracht hatten, gingen ihnen unter dem Einfluss der Gruppenpsychologie, der Fetischisierung des Zugehörigkeitsgefühls alle Maße verloren; sie waren nicht imstande, faschistische Neigungen zu erkennen, sie konnten sich zum Nationalismus und zum Totalitarismus verleiten lassen. (Seite 83)
http://getem.boun.edu.tr/?q=node%2F16047&fbclid=IwAR1AbdoW7iP_Cpl3QDs9Q9kCocAkdkT3dFs4pvsnJe7SLiR1Yky4-pu1biI
https://www.idefix.com/Kitap/Komun-Bilgeligi/Sedat-Eroglu/Edebiyat/Deneme-Yazin/urunno=0000000527805