„Yoga ist die Kunst des Handels“ Rig Veda
Aus einer spirituellen Perspektive sieht es für mich konkret so aus: Es ist tatsächlich so, dass wir alle in unserem Geist die Fähigkeit haben, je nach Betrachtungsweise und Konzept Gutes und Schlechtes oder Negatives und Positives vollzubringen. Das machen wir ständig mit kleineren oder größeren Entscheidungen und Taten. In diesem Sinne gibt es nicht gute und böse Menschen, aber doch Bosheit und Güte. Und genau deswegen müssen wir wachsam bleiben und mit den Konsequenzen und Folgen unserer Taten rechnen. Energetisch gesehen geht es um geistige Reinheit, denn eine Bewusstseinserweiterung mit unreinem Geist ist nicht möglich.
Schon Zarathustra erläuterte in seinen Ghatha, dass man zu entscheiden hat, mit seinen Gedanken, Worten und Taten (humata, hukhta, hvarshta: Gutes Denken, Gutes Reden, Gutes Tun) seine „Spinta Mainyu“ (gute Gedanken) und nicht „Angra Mainyu“ zu ernähren. Von diesem originellen Konzept über destruktive Gedanken (Angra Mainyu) hat man viel später und unabhängig von Zarathustra leider die antropomorphisierte Figur Ahriman (Satan) entwickelt.
Also tragen wir alle das Potenzial zu allen möglichen Handlungen in uns. Aber was und wie es sich konkret manifestiert, ist labil und bleibt in unserer eigenen Verantwortung.
Spirituell sehe ich mich in yogischer Tradition, und vor allem schätze ich sehr die Yoga-Sutra von Patanjali. So verstehe ich die Prinzipien Yama und Niyama als Grundlage und Wurzel des Yogabaums. Für mich gibt es ohne die Umsetzung von Yama und Niyama kein Yoga. Was sind die Yama- und Niyama-Prinzipien?
Yama:
Ahimsa – (Gewaltlosigkeit) Gewaltkontrolle
Satya – (Ehrlichkeit) Lügenkontrolle
Asteya – (Kein Diebstahl) Besitzkontrolle
Brahmacharya – (Sexuelle Energiekontrolle)
Aparigraha – (Kein Ansammeln) Anhäufungskontrolle
Daya – (Mitgefühl) Hasskontrolle
Kshama – (Verzeihen) Zornkontrolle
Dhriti – (Ausdauer) Schwächekontrolle
Mitahara – (Maßhalten) Übermäßigkeitskontrolle
Arjava – (Rechtschaffenheit) Fehlerkontrolle
Niyama:
Shautsha – (Reinheit) Unreinheitskontrolle
Santosha – (Zufriedenheit) Gierkontrolle
Tapas – (Selbstdisziplin) Übermaßkontrolle
Svadhyaya – (Selbststudium) Unwissenheitskontrolle
Ishvara Pranidhana – (Hingabe an Gott) Wahrnehmungskontrolle
Astikya – (Glaube) Zweifelskontrolle
Dana – (Wohltätigkeit) Egoismuskontrolle
Hri – (Bescheidenheit) Stolzkontrolle
Mati – (Reflexion) Gedankenkontrolle
Vrata – (Versprechen) Schwankungskontrolle
Das ist der Yogaweg (Yogamarga). Nach Patanjali ist es ohne Yama und Niyama energetisch nicht möglich, die höheren Bewusstseinsstufen zu erreichen. Eine bewertungslose, parteilose beobachtende Haltung ist als eine nützliche Technik anzusehen, die über den Geist (Chitta und Virritis) hinaus zum Samadhi führen soll. Dabei ist es wichtig zu betrachten, dass das weltliche Leben ohne die Yama- und Niyama-Prinzipien nicht zur Spiritualität führen kann. Das heißt, man muss ganz klar unterscheiden können, wozu dient die parteilose Haltung und wozu sind die Yama- und Niyama-Prinzipien da. Und selbst eine parteilose Haltung bedeutet nicht nur, sich von „negativen“, sondern auch von „positiven“ Qualitäten wie der Liebe zu neutralisieren. Im Dao Te Ching von Lao Tse gibt es dazu ein sehr gutes Beispiel. Außerdem gibt es im Yoga Gunas, die wiederum dazu dienen, die Qualitäten der Handlungen zu unterscheiden: Rajas, Tamas und Sattva.
Es gibt also noch viele Aspekte im Zusammenhang mit diesem Thema zu erwähnen. Ich fasse mich jedoch kurz. Natürlich können wir die Qualitäten des Gegenübers erkennen, weil sie bei uns resonieren, weil wir sie kennen und als Potenzial in uns tragen. Das bedeutet aber nicht, dass alles gleichgültig ist. Wir bewerten ständig, und das ist auch normal so. Der Weg zu einer bewertungsfreien Haltung geht durch präzise Bewertungen. Die Kunst liegt jedoch darin, sich selbst auch objektiv wahrnehmen zu können.
Leider ist der spirituelle Weg, insbesondere der Hauptweg Yoga, meiner Meinung nach absichtlich unerkennbar gemacht worden. Mit naiven Vorstellungen laufen die Menschen von Seminar zu Seminar, machen jahrelange Schattenarbeit und ähnliches und können sich dennoch nicht von Krisen und Depressionen befreien und haben wirklich keine Ahnung von den originellen Quellen.
Ja, letztendlich ist alles ein Spiel. Aber das heißt nicht, dass das Spiel keine Folgen hat.
Und ja, es gibt Menschen, die sich asozial und egoistisch verhalten, genauso wie es Menschen gibt, die reflektieren, mitfühlen und entsprechend handeln können. Das sind keine festen Strukturen. Jeder Mensch kann seine Verhaltensweisen ändern.
Es ist nicht so einfach, den spirituellen Weg zu gehen. Es erfordert große Mühe, Disziplin und ist nicht mit oberflächlichem Prollen zu bewältigen.
Der Herzensweg (Bhakti Marga) ist ohne Yama und Niyama nicht realistisch. Energetisch ist es nicht möglich. Der Beweis dafür sind die Menschen, die jahrelang unterwegs sind, aber nicht geheilt sind.
Eine integrative Vorgehensweise mit Intellekt, Herz und Intuition zusammen macht den Yogaweg aus. Yoga ist ein konkretes achtstufiges Konzept, das vor allem mit Prana Vidya zu tun hat. Also ist Yoga energetisch ohne die bewusste Umsetzung der Yama- und Niyama-Prinzipien unmöglich.
Natürlich sollte die optimale Umsetzung von Yama und Niyama nicht fanatischer Natur sein, sondern in Maßen und nach dem Prinzip des Ausgewogenen (möglichst) geschehen.