SPIELE… TRÄUME… (Roman)

Ein Rosengarten mit harmlosen Dornen…

– Abdi, du Schurke! Du elender Kriecher! Sagtest du nicht, für meine Liebe hättest du dem Tod die Stirn geboten? Du würdest in die Berge gehen… würdest sterben und töten… sobald du die nackten Weiber gesehen hast, bist du weich wie Pudding geworden. Deine Augen kreisen wie zwei Kreisel…

– Ach nee, liebste Esra… Ich schau nur wegen äh, Dingsda …

– Wegen was?

– Na Dingsda… das heißt also, weil es gottgefällig ist. Also, es heißt ja, es sei gottgefällig, Schönes anzuschauen…

– Bin ich nicht schön?

– Wie kannst du so etwas sagen! Du bist ganz anders.

– Wie anders?

– Anders eben… also, für dich würde ich in die Berge gehen. Du wirst sehen: Sag mir bloß, in welchen Berg ich gehen soll… also, ich wäre ein gemeiner Hund, wenn ich nicht ginge. Sei es auch in dreitausend Meter Höhe.

– Lass doch den Jungen in Ruhe, Esra. Seine Liebe zu dir ist eine reine, erhabene Liebe. Erhabener als alles andere. Eine göttliche Liebe. Über dich denkt Abdi nie so was Unanständiges.

– Hör auf zu schleimen, Meto, du gemeiner Kerl. Ihr Männer seid ja alle gleich. Ihr könnt mir allesamt gestohlen bleiben, mit eurer reinen Liebe. Mit weiblichen Kunden wirst du ja auch ganz schnell schön vertraulich…

– Was soll ich denn machen, Mensch. Ich will bloß mein tägliches Brot verdienen… und außerdem, die Arbeit die wir machen, fordert von uns, dass wir vertraulich werden. Dem Mädchen die Zöpfe flechten. Um den Zopf ganz fein den Faden umwickeln… nun, ob du willst oder nicht, da wird man eben vertraulich.

– Mensch Esrosch… weißt du denn, was für Kämpfe wir mit uns selbst führen müssen, um uns von unseren lähmenden Fixierungen zu befreien. Und nun, schau dir mal deine Kommentare an… Was ist denn daran schlecht, wenn man vertraulich ist? Wenn alle Menschen einander gegenüber offen und vertraulich wären, wie schön wäre es doch auf der Erde. Überleg dir mal…Das heißt, damit meine ich…

– Ihr gemeinen Demagogen, ihr… Dann werde auch ich von nun an mit Männern vertraulich werden… Ihr werdet sehen, was ich da alles machen werde…

Auf dem endlosen Strand gingen sie an Flächen, die mit sich sonnenden Menschen, meistens Touristen, überfüllt waren, vorbei und gelangten an einen relativ ruhigen Ort.

Metin gab ein Zeichen mit der Hand. Die beiden Männer nahmen Anlauf und fingen an,  sehr flinke Flickflacks auszuführen, bis sie das Wasser erreichten.

Das Mädchen zog erst ihr T-Shirt aus, dann legte sie ihren BH auf den heißen Sand ab.

Danach rannte sie mit einem schrillen fröhlichen Schrei ins Meer. (Seite 7)

Im Berg nebelte es. Von seinen steilen Felsen herunter blies er seinen Atem. Die Sonne stand still. Sie wurde wütend. Wolken überdeckten ihre Brust. Sie wurde undeutlich. Im Buyer-See verschwammen die Schatten ineinander. Auch der See blies seinen Atem in die Höhe. Er schmiegte sich an Felsen, die von dem Schnee nicht erobert waren. Er gähnte. Reckte und streckte sich wie ein Bogen. Doch anstatt wie ein Pfeil vorwärts zu sausen, fing der Wind an, sich wie verrückt im Kreis zu drehen. Der Atem des Berges schwebte sich ringelnd und kräuselnd herunter. Dem Riesenkörper füllte er seine Rillen aus, überwand seine Dämme. Er wurde breiter. Er wurde enger. Überlistete ihn. Der Berg häutete sich. Ein gewaltiges Gelächter brach aus seinem Bauch heraus. Wie ein riesiger Bienenschwarm umspannte der Atem des Berges die Hochebenen und Täler mit seinen Flügeln. Von dem Klima, alles zu werden, war alles befallen. Nichts ließ er unberührt, unangetastet. Die Hörner der Gämsen, die Schreie der Adler, den Hunger der Schakale versiegelte er. Lawinen ließ er über den Verstand fallen. Bärte ließ er festfrieren, Augen ließ er bluten, Menschen durchlöcherte Vaé Pakai (Seite 30)

Am nächsten Tag gab es einen kurzen  Sommerregen. Es roch nach Erde. Sie waren allein im Garten.

Esra wünschte sich ein ähnliches Gespräch wie am Tag zuvor…

Sie kamen mit Teekanne und Gläsern. Die Sonne schien. Auch die Vögel waren schon munter. Alles war voll von Vogelgezwitscher.

– Metin!

– Mmm?..

– Was wird denn werden – was tun – wie wird es besser werden auf dieser Erde?..

– Mensch Esra, du stellst Fragen – da bekommt man ja schon Schuldgefühle.

– Wieso?

– Wieso wieso? Als ob ich die Formel zur Rettung der Erde in der Tasche hätte, und einzig und allein wegen einer Kaprice sie vor der Welt verheimlichte… Woher soll ich das wissen? Ich kann nicht einmal mir selbst helfen, siehst du das nicht?

– Ich meine es ernst Metin.

– Ich auch.

– Komm Meto! Du hast bestimmt was im Sinn.

– Dann will ich bestochen werden.

– Womit?

– Mit Obst… du wirst Obst für mich sammeln. Zehn verschiedene Sorten. Von jeder Sorte drei Stück verlange ich. Ja, das sind meine Bedingungen, zu sprechen… Es wird ja nicht wenig verlangt: Meine Meinung zur Rettung der Welt soll ich offenbaren.

– OK, einverstanden.

– Gut, in Ordnung, ich offenbare es also. Das Geheimnis liegt in der Langeweile. Langeweile ist sehr wichtig …

– Was sagst du?

– Langeweile sage ich.

– Du nimmst mich wieder auf den Arm.

– Nein, glaub mir, ich meine es sehr ernst… Folgendes: Die Quelle von vielem Bösen auf der Welt ist die Langeweile. Lach nicht!.. Die Langeweile darfst du nicht auf die leichte Schulter nehmen… Wer Langeweile auszuhalten vermag, ist ein tugendhafter Mensch… der tut niemandem was zuleide… doch vor Männern, die vor der Langeweile weglaufen, solltest du dich fürchten… nun, vor Frauen natürlich auch…

Esra schmunzelte vor sich hin.

– Lach nur. Diese meine Gedanken werde ich veröffentlichen – in einem sehr ernsthaften Buch  mit dem Titel „Thesen über die Langeweile“. Dann wirst du dich schämen, dass du dieses philosophische Thema von höchster Wichtigkeit belächelt hast. Du wirst sehen, wie sehr du dich schämen wirst… (Seite 128)

Am dritten Tag kam Esra. Sie weinte. Eine Weile umarmte sie Metin und weinte schluchzend. Dann zog sie sich in eine Ecke zurück und weinte dort weiter.

Dann auf einmal stand sie auf, und ging wütend auf Metin los, als wäre es nicht sie, die vor einem Moment wie ein Kind geweint hatte.

– Wieso hast du dich mit den Kerlen wie streunende Hunde herumgeschlagen, he?.. Du Blödmann!.. Und was nun?.. Sag, was soll jetzt werden?

Metin hüllte sich in Schweigen. Eine schreckliche Schwere hatte ihn wie ein Alptraum überkommen. Doch schlimmer war, dass er keine Möglichkeit sah, irgendwie die Ereignisse zu erklären. Ein brennendes Schuldgefühl verzehrte ihn innerlich.

Doch was hätte er denn tun können? Er hätte vielleicht stillschweigend mit ihnen gehen müssen. Wahrscheinlich würden sie ihn ein wenig verprügeln und dann von ihm ablassen. Oder vielleicht hätte er sich entschuldigen müssen, anstatt so aufsässig zu sein.

Doch auf einmal streifte er die Gedanken ab. Er war im Recht, und er war unschuldig. Sie waren die, die geflucht und angegriffen hatten. Er hatte nur in Notwehr gehandelt. Er hatte doch genau das getan, was getan werden musste. Und außerdem würden sie jetzt vielleicht nicht mehr mit hoher Geschwindigkeit in solche Straßen fahren und das Leben der Menschen gefährden…

Er hatte ein wenig Mut gefasst. Als er gerade sprechen und das alles erzählen wollte, drang Esras Frage wie ein Dolch in seinen Geist: Tatsächlich – was sollte jetzt werden?

Vor Metins Schweigen fing Esra wieder schluchzend zu weinen an.

Suna fasste sie am Arm und führte sie fort zum Bad.

Als sie zurückkamen, hatte Esra ihr strahlendes Lächeln wieder.

Metin fragte:

– Wie geht es meiner Mutter – geht es ihr gut?

– Sie hat keine Ahnung. Es geht ihr gut. Sie glaubt, dass du wieder verantwortungslos irgendwohin gereist bist, ohne irgendwem was zu sagen.

– Was heißt keine Ahnung? Sind sie nicht nach Hause gekommen?

– Nein… Sie haben nur in der Straße, wo es passierte, einige Leute gefragt.

– Und? Was haben sie erfahren?

– Weiß nicht. Eine eigenartige Stille. Es sind jetzt lediglich viel mehr Zivilfahrzeuge in eurem Viertel.

Ismail ergriff recht langsam das Wort.

– Das sind keine guten Zeichen. Sie verhalten sich merkwürdig. Ich glaube, sie haben dich erkannt. Anders zu denken wäre eine Dummheit… Sie werden darauf warten, dass du deine alten Verbindungen wieder aufnimmst.

Suna, die bis dahin neben Esra gestanden hatte, setzte sich auf den Boden.

– Wie ist der Zustand der Polizisten?

– Das ist auch völlig unbekannt. Es wird erzählt, dass einer sich überhaupt nicht gerührt hat, bis der Krankenwagen ihn abgeholt hat. Das soll übrigens der Kommissar gewesen sein. Was hast du mit ihm gemacht, Metin? Es sollen auch keinerlei Spuren oder Blut oder so was zu sehen gewesen sein.

Metin dachte an den Moment der Schlägerei. Da war der Mann, dem er auf die Gurgel geschlagen hatte. Könnte er gestorben sein? Nein, nein, der Mann war kräftig gebaut. Doch nicht mit einem Faustschlag. Wie soll das möglich sein? Und wäre er gestorben, dann hätte er es bestimmt mitbekommen. Von einem Faustschlag stirbt keiner.

– Was hast du ihm getan Metin?

– Die Männer haben mich angegriffen. Das ist alles.

– Ohne Grund?

– Nein, ich habe sie angehalten.

– Und warum hast du sie angehalten, Herr Metin? War es dir langweilig?

– Nicht mir, aber Selim war es wohl langweilig.

Vor diesen Worten waren alle überrascht.

Wer war denn Selim?

Ayhan fragte ernsthaft:

– Wer ist denn Selim?

– Na eben der. Der Große unter ihnen. Der Polizist.

Esra war völlig verblüfft. Sie wollte was sagen. Stotterte-

– Al… also… hast du also mit ihnen auch noch geplaudert? Vor der Schlägerei!..

– OK, nun reicht’s aber. Drängt mich nicht weiter. Ich habe nun mal eine Dummheit begangen. Doch sie fuhren auch viel zu schnell. Sie hätten jemanden überfahren können.

Esras Stimme begann wieder zu zittern:

– Schaut euch mal die Entschuldigung an. Bist du der Bürgermeister der Gemeinde? Täglich fahren Hunderte solche Autos hier vorbei.

– Nun werden es vielleicht weniger werden.

– Schau den edlen Herrn mal an. Er ist wohl auch noch stolz darauf, was er getan hat. Und was passiert jetzt? Eh? Sprich mal!.. Schrecklich ist das. Was meinst du, was sie mit dir machen, wenn sie dich finden? Sprich! Und was ist nun? Was ist mit deinem Tao? Hat deine herrliche Philosophie dir nicht geholfen, mit deinen Problemen ohne Fäuste fertig zu werden?

Esra weinte wieder los. Sie deckte ihr Gesicht mit dem Papiertaschentuch in der Hand.

Metin flüsterte:

– Hat es nicht!

Ayhan wartete, bis das Mädchen sich beruhigt hatte. Dann:

– Was passiert ist, ist passiert. Es hat keinen Sinn herumzuschreien. Die Lage ist ernst, und Vorsicht ist geboten. Keine Beschattung, oder?

– Auf diese Frage hin wurde Esra ernst:

– Nein. Die Uni ist hier sowieso ganz in der Nähe. Als ich nach der Schule hierher kam, habe ich auch schön aufgepasst.

– Gut, du kannst weiterhin in die Uni gehen. Und komme nicht hierher, wenn es nicht notwendig ist. In eurer Fakultät ist ein Junge namens Deniz. Durch ihn kannst du uns über die weiteren Ereignisse informieren. So ist es sicherer.

– Hast du Abdi gesehen?

Esra, die durch das Hausverbot gekränkt war, beantwortete Metins Frage leise.

– Er war es ja, der mir das erzählt hat. Hasan hat ihn aufgefunden.

– Und was macht er?

– Er lässt grüßen. Er fragte, ob er für dich was machen kann. Er gab auch Geld, für dich, dreihundert Mark.

Esra nahm das Geld aus der Tasche und legte es auf den Ständer.

– Sag ihm, er soll ruhig und vorsichtig sein. Höchstwahrscheinlich werden sie zu ihm kommen. Er soll kein schriftliches Material bei sich tragen oder in seiner Wohnung aufheben. Ich glaube, in der letzten Zeit hat er mit bestimmten Kreisen Verbindungen geknüpft.

– Mit wem denn?

– Ach… es trifft sich sehr schlecht. In diesen Tagen wollte ich gerade mit ihm über diese Sachen sprechen. Pass auf ihn auf!..

– Was meinst du damit? Ich verstehe nicht.

– Er kann jede Zeit etwas anstellen.

Esra lachte spöttisch,

– Meinst du so was wie du? Wie recht du hast… Ihn hast du sicherlich auch in unerschrockener Ritterlichkeit unterrichtet.

– Fang nicht wieder an, Esra! Du weißt… der Junge macht eine Krisenzeit durch. So können andere das missbrauchen. Verstehst du das nicht? Er liest jetzt Schriften, die er früher nicht gelesen hat. Er ist jetzt anders. Ich glaube, er hat Beziehungen, die er verheimlicht. Er ist ein sensibler Mensch. Ohne das er merkt, was mit ihm passiert, könnte er wer weiß wo landen. Und ich bin so sicher, wie ich Metin heiße: Auch da kann er sich nicht aufhalten. Sie lassen ihn sich dort nicht aufhalten. Er kennt die Logik jener Organisation überhaupt nicht.

– Was denn, soll ich ihm sagen, ‚geh auf keinen Fall in die Berge‘ und so?…

– Ja, finde einen Weg und erkläre ihm das. Erzähle ihm von Mustafa, dem Maler. Du hast ihn ja auch kennengelernt. Erzähle ihm, was er für ein Mensch war. Und wie er dann niederträchtig erschossen worden ist…

Dass ihr wegen Abdis Krise von Metin eine Art „Verantwortung“ übertragen wurde und das zu einer solchen Zeit, hatte um Esras Herz ein chaotisches, schweres Klima geschaffen. „Du weißt“ hatte Metin gesagt. Das war fast wie eine Anschuldigung. Sie blieb still… dachte… dann sprach sie:

– Metin, ich glaube du verstehst deine eigene Situation nicht. Du bist es, der Hilfe braucht, nicht er.

– Trotzdem: Rede mit ihm! Das erwarte ich von dir. Vergiss das nicht!

Als sie Abschied nahmen, schluchzte Esra wieder los. Metin streichelte ihr das Haar und flüsterte ihr ins Ohr:

– Wegen dieses Verhaltens bin ich dir böse. Sei keine Heulsuse mehr. Wir werden schon eine Lösung finden. (Seite 177)

Als er Yaşar kennengelernt hatte, hatte er einige Schriften der Organisation schon gelesen. Andererseits hatte er versucht, seine Beziehung zu Metin möglichst so wie früher aufrechtzuerhalten. Er wusste, wenn Metin davon erführe, würde es Unannehmlichkeiten geben. Er hatte ihnen eine Überraschung bereiten wollen. Er wollte unerwartet verschwinden. So wollte er das machen, und auf diese Weise wollte er Esras Herz von ferne erobern… Doch was war stattdessen passiert? Metin war schneller gewesen und hatte seinerseits für eine Überraschung gesorgt.

Als Metin die Polizisten krankenhausreif geschlagen hatte und selbst verschwunden war, war Abdi in ein völliges Chaos gestürzt; er war nicht mehr imstande, seine Gedanken und seine Gefühle zu orientieren. In kürzester Zeit merkte er, dass Metins Abwesenheit ihm Schmerzen bereitete. Das war ein Gefühl schmerzhafter Leere. Eine schwere und schmerzhafte Leere… (Seite 185)

Abdi schmerzte das Herz, er verlor sich in Tagesträumen. Wenn er hier rausginge und ihr, Esra, alles erzählte – wie wäre es? Muss man denn unbedingt in die Berge gehen? Ne… vielleicht würde es ihr gefallen. Das Mädchen hatte doch nicht einmal einen Geliebten. Wieso nicht? Metin… ach, wäre er nur auch da. Eigentlich war es recht schlimm, was zuletzt passiert war. Wenn er auch hingehen und mit Esra reden könnte – worüber hätte er auch sprechen können außer über Metin? Metin, und nur noch Metin…

Tatsächlich, was könnte Metin jetzt machen? Er konnte sich doch nicht ständig verstecken. Ach Metin – ach. Es gab kein Entkommen von ihm. Abdi erkannte jetzt besser als zuvor: Ohne Metin existierte auch Esra nicht. Zwischen dem Mädchen und ihm war er sowohl das Hindernis als auch die Verbindung. (Seite 187)

Abdi konnte seinen Nacken nicht länger aufrecht halten. Er schloss die Augen. Sie schleiften ihn in seine Zelle. Das kärgliche Licht, das durch ein winziges, mit Maschendraht überspanntes Fenster über dem Eisernen Tor der Zelle, nämlich dort, wo die Wand der Betonmauer und die Decke sich trafen, eindrang, erhellte den nackten und halb in Ohnmacht gefallenen Körper Abdis. (Seite 230)

Bis Fünf Uhr morgens lag Metin einfach da und folgte mit den Augen der Bewegung der Uhrzeiger. Man könnte von Glück reden, dass der Himmel voller Wolken und ohne Mond war, ohne dass es regnete. Wenn er an die Möglichkeit dachte, dass es in dieser Lage über ihn auch noch regnen oder schneien könnte, wurde ihm übel.

Während er die Uhr betrachtete, dachte er an den Begriff der Zeit. Wie langsam sie lief, und wie sehr er das Fließen von jedem Moment empfinden konnte. Und zu anderen Zeiten? Wenn sie mit Freunden zusammen lachten, sich amüsierten, sangen, wenn er von irgendetwas mitgerissen war – wie schnell sie dann dahinfloss, ohne sich bemerkbar zu machen. Also nicht einmal die Wahrnehmung solch eines streng messbaren, „objektiven“ Begriffes war objektiv. Abhängig vom Leben, von Gefühlen, von Raum und Zeit wurde sie unterschiedlich wahrgenommen.

„Die Zeit ist der Raum der Bewegung“ soll Engels gesagt haben. Gut gesprochen. Ohne Bewegung ist die Zeit gar nicht vorstellbar.

Metin lächelte vor sich hin.

Mensch Metin, du bist wirklich merkwürdig. Die griechische Polizei einerseits, die türkische Polizei andererseits sind hinter dir her, und du liegst dicht neben einem Grenzposten ausgestreckt da und philosophierst über den Begriff von Zeit.

Wie mag es wohl Abdi gehen? Sie haben ihn bestimmt gefoltert. Doch er ergibt sich nicht…

Dann dachte er an seine letzte Nacht mit Esra. Trauer überkam ihn. Es war schon eine Woche vergangen, seitdem er sich auf den Weg gemacht hatte.

Sie machen sich bestimmt meinetwegen Sorgen. Und Celal und Kâmil, wie ist es ihnen wohl ergangen?

Die Wolken wurden allmählich heller.

Ich sehe noch einmal auf die Uhr. Wird langsam Zeit, aufzustehen. Mein Schicksalsmoment kommt. Vielleicht ist es dieser Soldat, der Wachposten dort, der mich erschießen wird. Und hier wird meine Lebenslinie enden. Wie mag er wohl heißen? Ich kenne den Namen meines potenziellen Mörders nicht. Hier… wo ist es denn hier? Ich kenne nicht einmal den Namen der Stadt.

Am besten sollte man ganz anders denken. Man soll denken wie in einem Spiel. Wenn ich schon sterbe, dann sterbe ich lieber spielend… (Seite 326)

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